Manfred Stober,
Fachhochschule Stuttgart - Hochschule für Technik
Seit 1991 werden an der Station ETH/CU-Camp geodätische Messungen zur Bestimmung von Höhenänderung, Fließgeschwindigkeit und Deformation des grönländischen Inlandeises durchgeführt. Das Untersuchungsgebiet befindet sich auf dem Inlandeis ca. 80 km nord-östlich des Küstenortes Ilulissat (Jakobshavn) in der Höhe der Gleichgewichtslinie (ca. 1150 m), somit also am Übergang des Ablations- zum Akkumulationsgebiet. Die Massenbilanz in dieser Region ist glaziologisch von besonderem Interesse, zeigt sie doch Veränderungen der Gleichgewichtslinie als Folge von Klimaänderungen unmittelbar an.
Ziel der Untersuchungen ist es, die Veränderung der Eismassen durch unmittelbare geodätische Messung der Eisoberfläche zu erfassen. Der Vorteil dieser Methode besteht in der weitgehend hypothesenfreien Ermittlung von Höhenänderungen der Eisoberfläche in verschiedenen Jahren, aus denen unmittelbar Volumenänderungen berechenbar sind. Zusätzlich wird die Fließgeschwindigkeit und Verformung des Eises in Form von absoluten und differentiellen Verschiebungsvektoren konkreter, mit Pegeln vermarkter Punkte auf der Eisoberfläche bestimmt. Dadurch lassen sich Durchlassmengen von Eis berechnen, noch wichtiger aber ist die Untersuchung zeitlicher Änderungen, da die Zu- oder Abnahme der Fließgeschwindigkeit ebenfalls ein Indiz für Klimaänderungen darstellt. Die Verformung des Eises (Strain) gibt zusätzliche Informationen über die Verzerrungsverhältnisse am Untersuchungsort, Daten, die ebenso wie die Fließgeschwindigkeit in Eis-Klima-Modelle eingehen können bzw. zu deren Verifikation benötigt werden. Aus Strainwerten lassen sich ebenfalls Höhenänderungen bestimmen, die im Vergleich zu den direkten Meßergebnissen eine wertvolle Aussage über Abschmelzen und Ausfließen von Eismassen ermöglichen.
Bisherige Ergebnisse zeigen, dass die Fließgeschwindigkeit im Durchschnitt 0,317 m/d beträgt, mit geringer Tendenz zu zunehmender Geschwindigkeit im Lauf der Jahre. Die Fließrichtung (durchschnittliches Azimut = 260,24 gon) zeigt den zu erwartenden Abfluß in Richtung Jakobshavn Isbrae, dem schnellsten Gletscher der grönländischen Westküste.
Die wichtigsten Ergebnisse folgen aber aus den Höhenmessungen. Aus Eishöhen des Gebietes in verschiedenen Jahren ergibt sich im Durchschnitt über alle Pegelpositionen eine jährliche Höhenabnahme von –0,22 m/a. Dieselbe Höhenabnahme folgt aus dem Vergleich flächenhafter topographischer Aufnahmen der Eisoberfläche, wobei allerdings geringe lokale Variationen sichtbar werden.
Die Analyse der Strainraten (aus der Verformung des Deformationsnetzes) ergibt große horizontale Verzerrungsraten in den Hauptverzerrungsrichtungen zu e1 = +1118 ppm/a und e2 = - 894 ppm/a. Unter Annahme von Volumenkonstanz folgt hieraus eine Höhenabnahme von –0,18 m/a. Der Widerspruch „Volumenkonstanz“ und „Höhenabnahme“ läßt sich dadurch aufklären, wenn ein Teil der Höhenabnahme durch Abschmelzen, ein anderer durch Ausfließen verursacht wird. Unter diesem Aspekt gehen –0,04 m/a zu Lasten der Abschmelzung, der größte Teil aber (-0,18 m/a) ist auf verstärkten Abfluß zurückzuführen, der nicht durch Zufluß entsprechender Eismassen aus höheren Gebieten ausgeglichen wird.
Mit der festgestellten Höhenabnahme geht im Untersuchungszeitraum (1991 – 2002) eine Erhöhung der jährlichen Durchschnittsgeschwindigkeit um +0,3 °C/a einher. Beides zusammen führt zu einer Verschiebung der Gleichgewichtslinie hin zu höheren Regionen und damit zu einer beträchtlichen Vergrößerung des Ablationsgebietes in Küstennähe.
Mit einer Erweiterung des Untersuchungsgebietes könnten noch umfassendere Aussagen, besonders über die Veränderung des Ablationsgebietes, getroffen werden. Solche Arbeiten und Wiederholungsmessungen sind für die Jahre 2005 und 2006 geplant. Im Hinblick auf CryoSat bieten die zu erwartenden terrestrischen Höhen, Höhenänderungen und Fließgeschwindigkeiten ebenfalls eine hervorragende Möglichkeit zur Validierung der CryoSat-Ergebnisse. Das erweiterte Gebiet würde eine Länge von ca. 40 km bei einem Höhenbereich von 1150 m (ETH/CU-Camp) bis 250 m (Eisrand Pakitsoq) umfassen. Gerade die großen Höhenunterschiede und eine unregelmäßige Topographie stellen bei CryoSat Fehlerquellen dar, die es zu überprüfen gilt, hierzu wird auf Level-2-Daten zurückzugreifen sein. Ebenes Gelände, wie es im Inneren von Grönland vorherrscht, bietet hier wesentlich weniger Probleme. Typisch für die Randzone sind auch der unregelmäßige Niederschlag, der die Eindringtiefe der CryoSat-Signale beeinflußt. Eine Validierungsmöglichkeit ergibt sich hierbei durch Einbeziehung der Level-1-Daten.
Das vorgeschlagene Gebiet hat eine relativ kleine Ausdehnung, erstreckt sich aber über einen großen Höhenbereich. Für die Validierung von CryoSat sind jedoch viele kleine Gebiete ebenso wertvoll wie wenige große, zumal wenn (wie am ETH/CU-Camp) die zeitlichen Veränderungen schon durch bisherige langzeitige Beobachtungsreihen gut gesichert sind.